23.9.21
Arbeitshunde: Herdenschutzhund
Man wandert gemütlich über eine idyllische Bergwiese und möchte eine friedlich grasende Schafsherde passieren. Doch plötzlich wird man durch lautes Gebell erschreckt. Vor einem steht ein riesiger, weisser Hund, der bedrohlich knurrt und bellt. Das kann einem ganz schönen einen Schrecken einjagen. Doch bei diesen Hunden handelt es sich nicht etwa um verwilderte Vierbeiner, die Menschen Angst machen möchten. Es sind sogenannte Herdenschutzhunde – kurz HSH. Ihre Arbeit ist für viele Landwirte unverzichtbar. Sie leisten einen grossen Dienst. Wie genau sie ihre Arbeit verrichten und wie ein kleiner Wollknäuel zum grossen Herdenschutzhund wird, erfahrt ihr in diesem Blog.
In der Schweiz leben zurzeit ca. 250 Herdenschutzhunde in 100 verschiedenen Einsatzgebieten. Sie bewachen in der Regel Schafe oder Ziegen. Es kommt aber auch vor, dass Kuhherden geschützt werden.
Herdenschutzhunde sind nicht zu verwechseln mit Hütehunden, welche die Herden vor allem zusammenhalten und treiben. Die HSH sind, wie es der Name schon sagt, ausschliesslich für den Schutz der Herde verantwortlich. Es kommt aber vor, dass sie an der Seite von Hütehunden eingesetzt werden.
Rassen
Der Einsatz von Herdenschutzhunden ist nichts Neues. Seit Jahrtausenden werden Nutztiere bereits durch Wachhunde beschützt. Früher, als die grossen Raubtiere wie der Wolf oder der Bär in Europa noch weiter verbreitet waren als heute, war es gang und gäbe, dass man seine Herden auch schützen musste. Da heute auch bei uns besonders der Wolf wieder auf dem Vormarsch ist, ist das Thema der Herdenschutzhunde wieder aktuell geworden. In anderen Ländern wie Spanien, Italien und Rumänien hat man die Nutztierherden immer auch mit Herdenschutzhunden bewacht. Der Erfolg in diesen Ländern zeigt, dass es sich durchaus lohnt, diese tollen Vierbeiner einzusetzen.
Viele Rassen gehören zur Kategorie der Herdenschutzhunde. Hier eine kleine Auswahl:
- Maremmen-Abruzzen Schäferhund
- Pyrenänenberghund
- Kangal-Hirtenhund
- Kaukasischer Owtscharka
- Komondor
- Spanischer Mastiff
- Kuvasz
In der Schweiz werden die beiden ersten Hunderassen (Cane da Pastore Maremmano Abruzzese, Chien de Montagne des Pyrénées) als Herdenschutzhunde anerkannt und vom BAFU (Bundesamt für Umwelt) gefördert und finanziert. Die Rassen gelten als wachsam und wesensfest, sind aber auch sensibel. Sie arbeiten sehr selbständig, müssen aber durch ihre Halter immer gelenkt werden können. Der massige Körperbau ist eine imposante Erscheinung. Ihr dickes Fell macht sie äusserst robust. So sind sie perfekt dafür geeignet, bei jedem Wetter draussen ihre Arbeit zu verrichten.
Aufzucht
Herdenschutzhunde wachsen immer mit Nutztieren zusammen auf. So gewöhnen sie sich von klein auf an die Tiere und sehen sie als ihre Ressource, die sie später auch beschützen. Das Schutzverhalten muss dem HSH nicht beigebracht werden, das ist angeboren. Es ist aber wichtig, dass er einige andere Verhaltensregeln lernt und gut sozialisiert wird. Die Zucht und Ausbildung obliegt in der Schweiz dem Verein Herdenschutzhunde Schweiz, sofern die Haltung der Hunde finanziell unterstützt werden soll.
Ausbildung
Erfahrene Trainer unterstützen die Ausbildung der Herdenschutzhunde und bleiben auch nach der Platzierung Ansprechpartner für die Landwirte. Wenn die Hunde zwischen 14 und 18 Monate alt sind, werden die Hunde bei der Einsatzbereitschaftsprüfung getestet, ob sie geeignet für die Arbeit mit Nutztieren sind. Nur mit bestandener Prüfung dürfen sie als Herdenschutzhunde eingesetzt werden.
Bei der Ausbildung werden vier Sozialisations-Kernpunkte verfolgt.
- HSH – Halter
- HSH – Nutztiere
- HSH – Hunderudel
- HSH – Zivilisatorische Mitwelt
Hierbei sieht man, dass der Herdenschutzhund nicht einfach lernt, seine Herde richtig zu verteidigen, sondern dass die Sozialisation mit den heutigen Gegebenheiten eine grosse Rolle spielt. Die Phasen der Sozialisation auf den vier Ebenen sind dabei genau festgelegt. Ziel ist es, dass der Hund die Nutztiere verteidigt aber nicht übermässig aggressiv auf Menschen oder andere Hunde reagiert. Mit ungefähr zwei Jahren ist ein HSH vollumfänglich einsatzbereit.
Arbeitsrelevante Merkmale für einen HSH sind:
- Herdentreue: Dazu zählen die Integration in die Nutztierherde und die Orientierung an der Herde. Muss ein Hund sich von der Herde entfernen, um allfällige Gefahren abzuwenden, sollte er anschliessend direkt zur Herde zurückkehren. Wildern oder herumstreunen ist verboten. Auch darf er die Nutztiere niemals verletzen.
- Schutzverhalten: Wird die Herde durch einen äusseren Reiz gestört, positioniert sich der Hund zwischen Herde und Reiz, beobachtet und agiert entsprechend mit draufzugehen und verbellen.
- Bezugsperson: Zur Bezugsperson soll der Hund eine gute Beziehung haben. Ein vertrauensvoller Umgang ist wichtig.
- Fremde Menschen: Ein HSH darf keine übertriebene Aggression gegenüber fremden Menschen zeigen. Das Verbellen ist erlaubt und erwünscht, er darf sie auch begleiten, bis sie für sein Empfinden genug weit von der Herde weg sind. Er soll aber immer eine gewisse Distanz halten und kein direkt-aggressives Verhalten zeigen.
- Fremde Hunde: Hunde ausserhalb der Herde werden auch als Gefahrenreiz wahrgenommen und entsprechend verbellt oder weggebissen. Dabei sollte der andere Hund aber nicht verletzt werden. Gelangt ein fremder Hund aber in die Herde, erfolgt eine starke Reaktion des Herdenschutzhundes.
Platzierung
Ist die Bereitschaft des Landwirtes da, dass er sich das ganze Jahr über um die Hunde artgerecht kümmert und mit ihnen arbeitet, kann er sich für einen HSH bewerben. Die Landwirte werdend durch die Kantone beraten. Es gibt Einführungskurs für jeden Landwirt, der sich für einen HSH bewirbt. Die Wartefrist für einen HSH beträgt ca. ein Jahr. Bei der Platzierung der Hunde werden verschiedene Faktoren berücksichtigt. Die Umstände der Haltung für den Hund müssen stimmen, aber auch der Raubtierdruck spielt eine Rolle.
Die Integration in die Nutztierherde wird durch einen Experten begleitet. Bis alle (Halter, Hunde und Nutztiere) einwandfrei zusammenarbeiten dauert es erfahrungsgemäss mindestens ein Jahr. Dabei ist eine gute Vertrauensbasis zwischen Hund und Halter essenziell. Kennen die Nutztiere Herdenschutzhunde bereits, ist die Eingliederung einfacher als bei einer Herde, die die Arbeit mit einem HSH noch nicht kennt. Am besten integriert man die Hunde im Winter in die Herde, damit man so viel Vorlaufzeit wie möglich hat, bevor die Situation ernst gilt. Werden die Nutztiere auch im Winter draussen gehalten, erfolgt die Einarbeitungsphase situativ.
Werden die HSH in eine unerfahrene Herde eingegliedert, geht man davon aus, dass der Hund seine Fähigkeiten erst mit der Zeit voll entfalten kann, weil erst die nachkommenden Jungtiere, welche bereits mit den Hunden aufwachsen, das volle Vertrauen zu den HSH entwickeln.
Im Durchschnitt spricht man von folgenden Eingliederungsschritten:
1. Jahr Kennenlernen, Strukturanpassungen
2. Jahr Stabilisierungsphase, Fehler ausmerzen
3. Jahr Konsolidierungsphase, gut integriert
Haltung
Wie viele Hunde es zum idealen Schutz einer Herde braucht ist individuell. Für die ersten 200 Tiere rechnet man aber mit 2 Hunden. Pro 100 Tiere mehr wird ein weiterer Hund empfohlen. Dies wird aber immer mit den Landwirten anhand der vorliegenden Gegebenheiten angeschaut. Der Herdenschutzhund kann seine Arbeit nur dann zuverlässig verrichten, wenn die Nutztiere eine räumliche Einheit bilden und sich nicht zu gross aufteilen. Besonders bei schwierigen Bedingungen wie in der Nacht, bei schlechtem Wetter (besonders Nebel) oder in unwegsamen Gelände sind die Hunde gefordert.
Der HSH lebt ganzjährig beim Nutzvieh. Er sollte täglich Auslauf haben, auch wenn die Herde im Stall überwintert. Es ist vorgeschrieben, dass mindestens zwei Hunde zusammengehalten werden müssen.
Bei der Haltung muss man auch beachten, dass die Hunde bei vielen Reizen entsprechend viel bellen. In besiedeltem Gebiet kann das Anwohner entsprechend verärgern.
Die Zucht, Ausbildung und Haltung von Herdenschutzhunden sind sehr teuer. Die Anschaffungskosten belaufen sich auf ca. CHF 1200.00. Für Landwirte mit entsprechendem Bedarf an HSH werden die Kosten subventioniert.
Verhaltensregeln
Die Herdenschutzhunde werden so ausgebildet, dass bei rücksichtsvollem Verhalten der Beteiligten, keinen Schaden entstehen sollte. Werden die Umgangsregeln jedoch missachtet, kann es durchaus zu brenzligen Situationen und schwerwiegenden Auseinandersetzungen kommen. Über Infofleyer und Hinweisschilder wird die Öffentlichkeit über das korrekte Verhalten aufgeklärt. Auf Online-Karten werden die Einsatzorte in Alpgebieten gekennzeichnet. So kann man sich vorgängig informieren, wo Herdenschutzhunde unterwegs sind.
Stösst man auf unterwegs auf Herdenschutzhunde, gilt es immer einige Punkte zu beachten.
- Eigene Hunde sollten, wenn immer möglich nicht auf Wanderungen im Gebiet der HSH nicht mitgeführt werden.
- Trifft man unverhofft mit dem eigenen Hund auf eine bewachte Herde, soll man den Hund anleinen und die Herde grossräumig umgehen oder umkehren. Die Herde darf niemals durchquert werden.
- Die Nutztierherde darf man unter keinen Umständen bedrängen oder aufscheuchen.
- Immer auf Distanz bleiben zum Herdenschutzhund und zur Herde.
- Die Herdenschutzhunde sollte man nicht überraschen. Ab Besten macht man von Weitem mit lautem Reden auf sich aufmerksam.
- Wenn Herdenschutzhunde in unsere Richtung laufen, laut bellen oder den Weg versperren, sollte man ruhig bleiben. Man muss dem Hund die Zeit geben, die Situation einzuschätzen.
- Warnt der Hund intensiv, sollte man die Herde nicht durchqueren, sondern grossräumig umgehen. Beruhigt sich der Hund auch nach dem Abwarten nicht, muss man umkehren. Dabei sollte man langsam und ruhig weggehen, Blickkontakt vermeiden und im Notfall rückwärts sich zurückziehen.
- Man sollte das Tempo verlangsamen, sowohl zu Fuss als auch auf dem Fahrrad.
- Ist man mit dem Bike unterwegs, sollte man absteigen und das Bike schieben.
Schnell werden Herdenschutzhunde als aggressiv abgestempelt. Sie verrichten jedoch lediglich ihre Arbeit und tragen so dazu bei, dass wir im Einklang mit der Natur leben können. Wir sollten ihnen mit Respekt und Rücksichtnahme begegnen.