9.7.20
In der Ruhe liegt die Kraft
Über die Auslastung von Hunden wird viel geschrieben und noch mehr diskutiert. Es gibt unzählige Sportarten und Beschäftigungsmöglichkeiten, welche für Hunde und ihre Besitzer angeboten werden. Von Führigkeitsarbeit wie Begleithunde-Training über sportliche Aktivitäten wie Agility oder Canicross, bis hin zu Mantrailing und co. als Nasenarbeit, wird für jeden etwas angeboten. Selbstverständlich ist es wichtig, unsere Hunde entsprechend ihrer Veranlagung zu beschäftigen und zu fördern. Schliesslich lernen beide Parteien immer etwas bei gemeinsamen Unternehmungen und man wächst als Team zusammen. Zudem haben sich die meisten ja einen Hund geholt, um mit ihm etwas zu erleben.
Vielen ist jedoch nicht bewusst, dass entsprechende Ruhephasen genauso wichtig sind für unsere lieben Vierbeiner, wie eine erfüllende Beschäftigung. Deswegen wird dieses Thema in der Hundeerziehung oft vernachlässigt oder gar vergessen, was manchmal schwerwiegende Folgen mit sich bringen kann. Entweder hat man einen Hund, der ständig total überdreht ist oder es resultiert in einem überforderten und überreizten Hund, welcher ängstlich oder aggressiv reagiert, weil er mit der Reizüberflutung nicht mehr klarkommt.
Hundemüde
Von Anfang an brauchen Hunde viel Ruhe und Schlaf um Eindrücke und neu Gelerntes zu verarbeiten. Die benötigte Ruhezeit verringert sich zwar mit dem Erwachsenwerden. Dennoch liegt die empfohlene Zeit bei einem erwachsenen Hund bei ca. 16-20 Stunden pro Tag, bei einem Welpen können es sogar bis zu 22 Stunden sein. Auch ältere Hunde benötigen wieder vermehrt Ruhe, um sich gut erholen zu können. Ruhezeit bedeutet nicht unbedingt, dass der Hund tief schlafen muss. Entspanntes liegen und dösen zählen da schon dazu. Doch selbst damit haben viele Hunde ein Problem, weil sie glauben, ihre Welt immer im Blick haben zu müssen, da sie sonst etwas verpassen könnten. Oder sie haben nie gelernt, äussere Reize auszublenden. So fällt vielen das Abschalten sehr schwer. Im Schlaf werden Reize verarbeitet und Synapsen neu verknüpft, was Erlerntes festigt und Unwichtiges wieder löscht. Zudem werden beim Ruhen Stresshormone abgebaut und das Immunsystem gestärkt. Somit tritt eine Erholung beim Hund ein, was unabdingbar für einen gesunden Hund ist.
Alle Blickwinkel betrachten
Hunde sind in der heutigen Welt vielen Reizen und grossen Erwartungen ausgesetzt. Hier möchte ich kurz auf die drei Blickwinkel zu sprechen kommen.
Blickwinkel des Hundes: Jeder Tag bringt viele Eindrücke mit sich, welche ein Hund verarbeiten muss. Mal gibt es intensivere Tage, mal ist nicht so viel los. Was ein besonderer Reiz ist, ist bei jedem Hund verschieden. Es gibt Hunde, die sind sich Autolärm gewohnt und können ihn gut ausblenden. Für andere ist ein Besuch in der Stadt eine grosse Herausforderung. Hundetraining, Begegnungen mit Artgenossen, Menschenansammlungen, eine Katze auf der Strasse – diese und unzählig andere Reize wirken auf unsere Hunde ein. Und um sich in diesen Situationen angemessen zu verhalten, muss ein Hund ausgeglichen sein. Dazu ist genügend Ruhe unerlässlich.
Blickwinkel des Hundehalters: Wir als Hundehalter haben zwei Aspekte. Erstens möchte man nicht den ganzen Tag vom Hund belagert werden. Wenn er uns also immer hinterherdackelt und überall hin folgt, löst das bei uns oft eine Art Stress aus. Man fühlt sich beobachtet, manchmal regelrecht kontrolliert. Zudem stresst das auch den Hund, weil er etwas unter Kontrolle halten will, das er gar nicht kann. Zweitens haben wir die Anforderung an unseren treuen Begleiter, dass er sich im Alltag ruhig und souverän verhält. Niemand möchte einen dauerbellenden Hund, wenn man mit ihm im Restaurant sitzt oder einen Hund, der bei jedem Geräusch hochschreckt. Natürlich gehört hier viel Habituations- und Impulskontroll-Training dazu. Aber eine Grundvoraussetzung ist ein ausgeglichener Geist.
Blickwinkel der Gesellschaft/Umwelt: Die Gesellschaft hat ganz klare Vorstellungen, wie ein Hund sein soll. Wir wissen alle, dass diese Vorstellungen zum Teil utopisch sind. Denn schliesslich handelt es sich immer noch um ein Tier mit angeborenen Instinkten und nicht um eine Maschine mit einem Ein- und Ausschaltknopf, die einfach funktioniert. Sicher ist, dass ein Hund so gehalten und geführt werden muss, dass die Gesetze eingehalten werden. So soll der Hund niemanden beissen, nicht einfach jagen gehen und auch keinen überdurchschnittlichen Lärm veranstalten. Für die einen Leute kann ein Hund nicht unsichtbar genug sein, andere wiederum erwarten von unseren Vierbeinern, dass er immer mit dabei ist und natürlich sich stets freundliche aber auch ruhig verhält.
Ruhe lernen
Um jeden Tag ausgeglichen bewältigen zu können, muss unseren Vierbeinern die Chance gegeben werden, die erlebten Eindrücke zu verarbeiten und sich zwischendurch zu erholen. Leider wird dem oft nicht genug Beachtung geschenkt. Denn auch das Ruhen muss man einem Hund beibringen.
Gerade in der Welpenzeit ist es verlockend, dem tapsigen Freund alles Mögliche zu zeigen und zu lehren. Artgenossen kennenlernen, Zugfahren, Kommandos lernen... die Liste ist lang. Doch gerade Welpen sind schnell überfordert und brauchen besonders viele Pausen, in denen sie sich erholen können. Hier empfiehlt es sich bereits von Anfang an einen fixen Ruheplatz zu etablieren und allenfalls auch ein „Pausen“-Kommando zu erlernen.
Ideal ist es, wenn ein Hund aber nicht nur zu Hause lernt sich zu entspannen, sondern auch an fremden Orten. Sei es auf Besuch bei Verwandten oder wenn man im Park auf einer Bank eine kleine Rast einlegt, der Trainingsort kann überall sein. Voraussetzung dafür ist, dass der Hund gelernt hat zu warten und dass nicht immer etwas Spannendes passiert. Gerade draussen, wo viele interessante Reize warten, fällt es vielen Hunden natürlich schwerer, einfach abzuschalten. Deswegen sollten man das Training, wie immer, in einer möglichst reizarmen Umgebung starten und langsam steigern.
"Must-Haves" für die Pause
Damit sich ein Hund entspannen kann, bedingt es gewissen Voraussetzungen. Natürlich spielt auch das Gemüt des jeweiligen Hundes immer eine Rolle. Generell kann man aber sagen, dass folgende Punkte sehr wichtig sind:
- Vertrauen in den Besitzer – Vertraut der Hund darauf, dass der Besitzer die Situation im Griff hat, muss er sich nicht darum kümmern und findet einfacher zur Ruhe.
- Vertrauen in sich selbst – Wenn der Hund ein gefestigtes Wesen hat und Selbstsicherheit zeigt, fällt es ihm leichter, eine Situation zu ignorieren und zu warten.
- Sicherheit der Umgebung – Fühlt sich ein Hund in der Umgebung sicher, kann er leichter entspannen als an einem Ort, wo er sich nicht wohl fühlt.
- Auslastung – Wie schon erwähnt muss ein Hund auch seine aktiven Bedürfnisse stillen können. Das heisst, nachdem er sich körperlich oder mental auspowern konnte und sein Geschäft erledigt hat, fordert der Körper mehr Ruhe.
Hilfestellung
Am Anfang brauchen die meisten Hunde etwas Hilfestellung um in die Ruhe zu finden. Dabei ist liebevolle Konsequenz gefragt. Am einfachsten ist es am Anfang, die Ruhe mit einem bestimmten Ort zu verbinden. Ob das nun das Körbchen, eine geschützte Box oder eine Decke ist, spielt keine grosse Rolle - Hauptsache ist, es stimmt für den Hund.
Folgendes unterstützt das Training:
- Fixer Tagesplan – Hunde sind Gewohnheitstiere und können sich besser an einer regelmässigen Tagesstruktur orientieren.
- Ruhige Umgebung/wenig Ablenkung – Je weniger Reize einen Hund wachhalten, umso einfacher ist es für den Hund sich zu entspannen. Sorgen Sie also für einen ruhigen, abgeschirmten Schlafplatz und Rückzugsort.
- Fixer Bezugspunkt – Schaffen Sie einen fixen Ort der Entspannung (Decke, Box...). Gerade eine Decke kann auch gut an fremde Orte mitgenommen werden. Wenn der Hund sie mit Ruhe verknüpft hat, wird er dies auch in fremder Umgebung zeigen.
- Impulskontrolle – Üben Sie mit Ihrem Vierbeiner Impulse zu kontrollieren und Reizen zu wiederstehen. Das kann eine sehr anstrengende Übung sein. Passen Sie das gezielte Training also dem Hund entsprechend an. Der Alltag bietet diverse Möglichkeiten dafür.
- Habituation – Je mehr Situationen der Hund kennenlernt und mit einer positiven Erfahrung verknüpft, umso sicherer fühlt er sich und reagiert cool. Es ist alles im wahrsten Sinn des Wortes eine Gewöhnungssache.
- Viele Wiederholungen – „Üben, üben, üben!“ ist hier die Devise. Es müssen ja nicht immer 2 Stunden sein. Manchmal reichen auch 5 Minuten im Park gezielt zu entspannen.
- Rituale – Genauso wie ein fixer Ort können Hunde auch andere Rituale mit Ruhe verknüpfen. Zum Beispiel kann man immer dieselbe Musik laufen lassen oder mit Düften arbeiten (z.B. sagt man Lavendel eine entspannende Wirkung nach)
- Entspannter Besitzer – Ist man selber entspannt, kann auch der Hund besser entspannen. Sicher kennen diese Situation viele, dass wenn man selber angespannt oder unruhig ist, dies der Hund sofort widerspiegelt. Seien Sie also ein Vorbild für den Hund uns zeigen Sie ihm somit, dass alles in Ordnung ist.
Am Anfang ergibt es Sinn nach dem Ruhe-Training die Situation aufzulösen, wenn der Hund sich entspannt hat. Tun Sie dies aber ruhig und pushen Sie den Hund nicht zu sehr mit überschwänglichem Lob oder einem Spiel. Sonst besteht die Gefahr, dass der Hund eine Erwartungshaltung entwickelt und so nur noch auf das Auflöse-Kommando wartet, womit wir wieder einen angespannten Hund hätten.
Ruhepausen im Training
Wer kennt es nicht, man trainiert etwas mit seinem Hund und man hat das Gefühl, es geht nicht weiter. Lassen Sie Ihren Hund kurz ruhen! Oft hilft eine kleine Pause von 5-10 Minuten, damit der Hund die Lektion verarbeiten kann um anschliessen taufrisch wieder am Start zu sein. Plötzlich platzt der Knoten und Erfolg stellt sich ein. Auch hier gilt, hören Sie auf wenn es am schönsten ist. Viele Hunde zeigen Müdigkeit erst, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Beobachten Sie Ihren Hund also immer genau und gönnen Sie ihm die verdienten Pausen. Diese können wahre Wunder bewirken.
Klinisch getestet
In manchen Fällen kann die Unruhe bei einem Hund auch medizinische Ursachen haben. Zeigt sich bei gezieltem, richtigen Training, am besten immer unterstütz durch einen erfahrenen Trainer, keine Verbesserung der Situation, sollte man zur Sicherheit den Tierarzt konsultieren. Es könnte sein, dass Ihr Hund Schmerzen hat oder etwas in seinem Hormonhaushalt nicht stimmt. Zudem können Veränderungen, wie zum Beispiel ein Umzug oder Familienzuwachs gerade sensible Hunde aus der Bahn werfen. Je früher man das Problem erkennt, desto schneller kann dem geliebten Vierbeiner geholfen werden. Denn es ist nicht fair, etwas von einem Hund zu verlangen, was er wegen körperlichen Beschwerden oder geistigen Blockaden gar nicht in der Lage ist zu leisten.
Fazit
Wir kennen es alle selber, wer nicht genug ruht und nicht genug Schlaf bekommt, fühlt sich unwohl, ist gereizt und bringt nicht die gewünschte Leistung. Zudem sind wir anfälliger für physische und psychische Erkrankungen. So geht es auch unseren Hunden. Zumal zu beachten ist, dass das Ruhebedürfnis des Menschen wesentlich geringer ist, als das der vierbeinigen Freunde, weil Hunde seltener ganz tief schlafen sondern die meiste Zeit vor sich hindösen.
Welpen, alte oder kranke Hunde benötigen noch mehr Ruhe als ein gesunder, erwachsener Hund. Aktive Phasen und Pausen sollten sich die Waage halten und alle Bedürfnisse des Hundes müssen abgedeckt sein. Ist ein Hund zu vielen Reizen ausgesetzt, wird er überdreht, ist er unterfordert, kann er nicht stillsitzen. Beides bringt einen Hund hervor, der schlecht zur Ruhe kommt.
Mit ein paar einfachen Hilfestellungen und konsequentem Training erleichtern Sie es dem Hund, sich ausruhen zu können. Das Ziel bleibt natürlich, dass der Hund sich die Ruhe selber sucht oder zumindest bei der Aufforderung, eine Pause einzulegen, entspannen kann. Wir als Mensch spielen beim ganzen Prozess nicht eine unwichtige Rolle, im Gegenteil. Je nervöser ein Hund ist, umso entspannter sollten wir sein und dem Hund so Sicherheit vermitteln. Oft hat man leider im Kopf, dass „Herumliegen“ ja nicht so schwer sein kann. Doch es ist wichtig in solchen Momenten, die Welt aus der Perspektive des Hundes zu betrachten. Denn einfach entspannt zu dösen während nebenan eine Schulklasse schreiend über die Wiese rennt oder vom Tisch ein verlockender Duft eines Steaks hinüber schwappt, setzt sehr viel Selbstkontrolle voraus. Seien Sie also verständnisvoll und wählen Sie im Aufbau die Aufgaben immer so, dass der Hund sie auch bewältigen kann. Sonst kann es leicht Frust auf beiden Seiten auslösen.
Ruhetraining brauch viel Zeit und Geduld. Es ist aber ein Training, das sich auf lange Sicht extrem auszahlt und unser Zusammenleben mit unseren Vierbeinern vereinfacht und angenehmer gestaltet, nicht nur aus der Sicht der Menschen und unserer Umwelt, sondern auch und vor allem aus der Sicht der Hunde. Je früher man mit dem Training startet, desto einfach etabliert es sich fix im Tagesablauf. Man sollte sich unbedingt die Zeit für dieses Training nehmen. Denn nur ein ausgeglichener und ausgeruhter Hund kann ein glücklicher und gesunder Hund sein. Das Motto sollte also lauten „In der Ruhe liegt die Kraft!“.