12.8.21
Arbeitshunde: Blindenführhund
Wir starten mit der neuen Rubrik «Arbeitshunde» in unserem Blog. Dabei möchten wir alle möglichen Arten von Arbeitshunden vorstellen. Denn Hunde sind nicht nur treue Gefährten. Sie helfen dem Menschen auch oft und bereichern dadurch unser aller Leben. In manchen Arbeitsfeldern ist der Einsatz der Hunde unverzichtbar. Umso bewundernswerter ist ihre unermüdliche Arbeit.
Anfangen möchte ich mit Blindenführhunden. Ich war als Kind bei einem Tag der offenen Tür der Stiftung Schweizerische Schule für Blindenführhunde Allschwil. Nicht nur die kuscheligen Welpen, sondern auch die ganze Arbeit haben mich damals schon sehr fasziniert. Deswegen möchte ich der Arbeit von Blindenführhunden genauer auf den Grund gehen. Für das habe ich mit Leuten gesprochen, die hautnah am Thema dran sind. Einerseits ist das Ronny Ramseier. Er ist selbst Führhundehalter auf Grund seiner Sehbeeinträchtigung und arbeitet als PR-Mitarbeiter in der Stiftung in Allschwil. Zum Zweiten ist es Peter Kaufmann, Geschäftsführer – Leiter Entwicklung, Ausbildung und Begleitung, vom VBM/ Blindenhundeschule Liestal.
Was ist ein Blindenführhund
Ein Blindenführhund leitet Personen, welche eine Sehbeeinträchtigung haben durch das Leben. Er ermöglicht eine grosse Mobilität, da der Hund die Person auch sicher an Orte führen kann, welche sonst nicht oder nur erschwert zugänglich wären. Er zeigt Hindernisse an oder umgeht sie, wenn es möglich ist. Er zeigt unter anderem Ampeln, Fussgängerstreifen oder freie Sitzgelegenheiten an. Wichtig ist jedoch, dass er von seinem Halter gelenkt wird. Denn der Hund weiss ja nicht, wo das Ziel ist. Ausgebildet werden die Hunde in der Schweiz meistens mit italienischen Hörzeichen. Die Kommandos sollten akustisch gut unterschieden werden können und abweichen vom allgemeinen Hundetraining (z.B. Sitz oder Platz).
Wie lange kann ein Blindenführhund am Stück arbeiten?
Ronny Ramseier: Das kommt sehr auf den Hund und die Umgebung drauf an. Ist auf dem Weg viel los, ist das natürlich auch für den Hund anstrengend und er braucht schneller eine Pause. Da reicht aber manchmal auch eine 10-minütige Bahnfahrt, um sich zu erholen. Generell wird bei der Vermittlung der Hunde darauf geachtet, dass der Hund mit der Umgebung klarkommt. Hält sich ein Führhundehalter mehrheitlich in der Stadt auf, benötigt er einen anderen Hund als jemand, der vorwiegend in ruhiger Umgebung unterwegs ist.
Zucht
Generell wären verschiedene Hunderassen geeignet für den Job. Es werden weltweit auch diverse Rassen als Blindenführhunde eingesetzt. Es kommt mehr auf den Charakter des Hundes an, ob er geeignet ist, nicht auf die Rasse.
Allschwil führt eine eigene Zucht für ihre Hunde. Es werden ausschliesslich Labrador Retriever gezüchtet. Da das Führen eines eigenen Zuchtprogramms sehr aufwändig ist, beschränkt man sich auf eine einzige Rasse. Es werden aber hin und wieder Labradore mit Golden Retrievern gekreuzt. Die Zuchthunde leben jeweils bei einer Familie. Für die Dauer der Geburt und der Aufzucht der Welpen kommen sie jeweils an die Schule. Danach gehen sie wieder zurück zu ihren Familien.
Bei der Blindenhundeschule Liestal werden verschiedene Rassen ausgebildet. Um die Gesundheit der Hunde besser einschätzen zu können, konzentrieren sie sich bei der Rassenwahl auf gut etablierte Rassen mit einem möglichst grossen genetischen Pool. Es müssen Hunderassen von mittlerer Grösse sein (zwischen 23kg und 43kg).
Peter Kaufmann: Am erfolgreichsten sind wir bei «Allrounder-Rassen» und Kreuzungen dieser Rassenhunde. Zum Beispiel Labradore, Golden Retriever, Pudel, Barbet und Schäferhunde. Aber auch Airedale Terrier, Riesenschnauzer, Bergamasker, Collie und andere mehr konnten von uns und anderen Schulen erfolgreich zu Blindenhunden ausgebildet werden.
Nach welchen Kriterien werden angehende Blindenhunde ausgewählt?
Peter Kaufmann: Eine robuste Gesundheit, die in den ersten 2 Lebensjahren mehrfach von Tierärzten evaluiert und dokumentiert wird, ist entscheidend. Zudem müssen Blindenhunde das Talent zum Führen haben. Dies zeigt sich unter anderem dadurch, dass sie selbständig Lösungen für anstehende Probleme anbieten. Charaktermässig dürfen Blindenhunde so unterschiedlich wie ihre zukünftigen Halter sein. Dennoch werden Hund die besonders auffällig reagieren, einen grossen Trieb besitzen, mehr Selbstinteresse als den «Will to Please» besitzen und Hunde die besonders misstrauisch sind, nicht ausgebildet.
Ausbildung
Die Welpen werden in der Schule (Allschwil) oder beim ausgesuchten Züchter (Liestal) geboren und die ersten Wochen aufgezogen. Man beginnt dort bereits mit der Welpen-Sozialisation und fördert ihre Motorik. Damit werden die Weichen für ihre spätere Aufgabe gestellt. Anschliessend werden sie in Patenfamilien abgegeben, bei welchen die Welpen aufwachsen, betreut jeweils vom entsprechenden Fachpersonal der Ausbildungsstätte. Dort lernen sie das Hunde 1x1, werden gehegt und gepflegt und vor allem SOZIALISIERT. Mit ca. 18 Monaten kehren sie dann zurück an die Schule und beginnen ihre Ausbildung. Dort werden auch die Hunde bewertet, ob sie geeignet sind für die wichtige Aufgabe später als Blindenführhund. Die herausfordernde Ausbildung verlangt viel ab von den Hunden. Rund 6-9 Monate werden die Hunde auf die verschiedensten Situationen vorbereitet.
Was ist das Wichtigste, das ein Blindenführhund lernen muss?
Ronny Ramseier: (überlegt lange) Da gibt es sehr viele Dinge. Denn eigentlich ist alles wichtig! Was man wohl sagen kann ist, dass die ganze Sozialisation mit Menschen, Artgenossen und der Umwelt der Grundstein für eine später erfolgreiche Arbeit ist.
Ist die Grundausbildung absolviert, wird ein passender Halter für sie gesucht. Denn nicht jeder Hund passt zu jedem Menschen und in jede Umgebung. Ist der Hund bei seinem zukünftigen Halter eingezogen, werden sie 6 Monate zusammen geschult. Am Schluss steht eine Abschlussprüfung an, wobei beurteilt wird, ob das Gespann zusammenarbeiten kann und beide füreinander geeignet sind.
Wie suchen Sie den passenden Hund für den Menschen aus?
Peter Kaufmann: Dies ist oft ein langer Prozess, bei dem wir den Klienten und sein Umfeld zuerst kennen lernen müssen. Sind die Bedürfnisse an den passenden Hund geklärt und dokumentiert, so werden am «Matching» die Trainer und Instruktoren unserer Schule zusammenkommen und miteinander die zur Verfügung stehenden Trainingshunden den Anwärter*innen auf einen Blindenhund zuteilen. Anschliessend werden die Hunde den Klienten vorgestellt, und ist die Sympathie da, fest zugeteilt.
Mit der bestandenen Abschlussprüfung endet die Ausbildung aber nicht. Den Führhundehaltern stehen jedes Jahr Weiterbildungsmöglichkeiten zur Verfügung. Auch wird jedes Gespann einmal im Jahr besucht, um zu sehen, ob sich Fehler eingeschlichen haben und um zu kontrollieren, ob der Hund seine Arbeit noch gerne und zuverlässig erledigt.
Durchschnittlich wartet man ein Jahr auf einen passenden Blindenführhund. Hat man besondere Ansprüche an einen Hund, kann es auch etwas länger dauern. Das Warten lohnt sich aber bestimmt.
Was ist das Schwierigste, das ein Blindenführhund lernen muss?
Ronny Ramseier: Das sind definitiv Höhenhindernisse und fremde Leute einzuschätzen. Höhenhindernisse müssten Hunde von sich aus nicht umgehen. Für den Menschen ist das aber wichtig. Und bei Menschen kann der Hund nicht wissen, wohin sie gehen. Plötzlich steht jemand im Weg oder schneidet dem Gespann den Weg ab.
Das Zeug zum Blindenführhund
Nicht jeder Hund ist für die anspruchsvolle Arbeit als Blindenführhund geeignet. Die Rasse des Labradors bringt schon viele wichtige Attribute mit. Denn der Führhund soll umgänglich, menschenbezogen, stressresistent und arbeitswillig sein. Doch wie bei jedem Wurf variieren die Charaktere natürlich auch bei dieser Zucht. Deshalb werden nur Hunde ausgebildet, welche alle wichtigen Eigenschaften mitbringen. Alle anderen Hunde, welche aus körperlichen Gründen oder aufgrund ihrer Wesensart nicht in Frage kommen, werden in liebevolle Hände weitervermittelt.
Blindenhunde lernen je nach Einsatzort zwischen 37 und 45 Hörzeichen. Zudem gibt es noch unzählige Verhaltensmuster, die bei besonderen Situationen umgesetzt werden müssen. So muss ein Blindenhund beim Durchqueren eines Grossbahnhofs unbedingt den Passanten, auch denen die sich unachtsam verhalten, ausweichen. Gleichzeitig darf er aber seinen Klienten nicht zu nahe an Plattformkanten und Seitenhindernisse heranführen. Weiter ist es wichtig, dass er immer den direktesten Weg zum Ziel findet/sucht, dabei aber selbständig Rolltreppen und Förderbänder ignoriert und nach Möglichkeit nach Alternativen wie Treppen Ausschau hält. Bei der Abschlussprüfung am Ende der Ausbildung, die durch einen Experten der IV abgenommen wird, wird das richtige Verhalten bei Seitenhindernissen, Engpässen, Abgründen, Treppen, Strassenüberquerungen, Höhenhindernissen, Geradlinigkeit, Verkehrssicherheit, gewisse Verweigerungen, der Umgang mit Passanten und Hunden, seine akustische Sicherheit und die Leinenführigkeit am höchsten bewertet und würden bei einem «Ungenügend» zwangsläufig zum Nichtbestehen der Prüfung führen. Das Zusammenspiel des Führhundehalters mit dem Blindenführhund sind schlussendlich ausschlaggebend. Sie müssen sich aufeinander verlassen können und gut miteinander kommunizieren.
Der Blindenführhund arbeitet jeden Tag mit seinem Besitzer zusammen. Dies kann ganz schön anstrengend sein. Deswegen ist es umso wichtiger, dass der Hund einen Ausgleich zur Arbeit hat. Die Freizeit eines Blindenhundes muss fester Bestandteil seines Tagesablaufs sein. So soll jeder Blindenhund nebst der Arbeit am Führgeschirr 1 bis 1,5h Hundezeit pro Tag haben, in der er ganz Hund sein kann. Hundezeit ist Zeit, in der der Hund seine ureigenen Bedürfnisse ausleben kann. (z.B. Freier Auslauf, Spielen mit dem Halter und mit anderen Hunden, schnuppern, aus-powern…) Dazu kommen Ruhezeiten, damit er sich regenerieren und alles verarbeiten kann.
Pensionierung
Ein Blindenführhund leistet wertvolle und unersetzliche Arbeit. Doch irgendwann kommt der Zeitpunkt, in dem der Hund an seine geistigen oder körperlichen Grenzen stösst. Ein Hund arbeitet durchschnittlich ca. 8 Jahre lang an der Seite seines Besitzers.
Für den passenden Moment der Pension sind aber eine Vielzahl von Faktoren zuständig.
Wie merkt man, dass Blindenhunde pensioniert werden müssen?
Peter Kaufmann: Allgemeines Wohlbefinden und die Gesundheit des Hundes, Grad der Belastung durch die Führarbeit, das Umfeld, inwieweit ein Klient auf die wechselnden Bedürfnisse des Hundes einzugehen vermag und der Charakter des Hundes müssen laufend neu beurteilt werden und sind für den Zeitpunkt einer Pensionierung massgebend.
Wenn immer möglich bleiben die Hunde beim Führhundehalter. Kann dieser dem Hund aber nach seiner Pensionierung nicht gerecht werden, wird er an neue Halter weitervermittelt. Die Warteliste dafür ist sehr lang. Dort darf er den Rest seines Lebens noch verbringen und eine ruhigere Zeit geniessen. Bei den Hunden von Allschwil besteht nach einer Übergabe mindestens 6 Monate eine Sichtsperre. Anschliessend darf der Hund aber vom vorherigen Halter/Paten am neunen Ort besucht werden.
Ist der viele Wechsel für die Hunde anstrengend?
Ronny Ramseier: Labradore können in der Regel mit einem Bezugspersonenwechsel gut umgehen. Kommt der Hund zu einer neuen Bezugsperson (z.B. nach der Aufzuchtzeit bei der Patenfamilie zum Führhundehalter), gilt generell ein Sichtverbot für 6 Monate für die ehemalige Betreuungsperson. Nach dieser Frist darf der Hund aber wieder besucht werden, wenn er sich am neuen Ort eingelebt hat. Auch ich habe diese Erfahrung gemacht. Als ich eine pensionierte Hündin von mir bei ihrer neuen Familie besucht habe, war es toll zu sehen, dass sie sich so gut eingelebt hatte. Sie freute sich zwar sehr mich zu sehen. Aber als ich ging, hat sie sich von mir verabschiedet und ging wieder ins Haus rein. Sie wusste, dass sie nun dorthin gehörte und war glücklich.
Richtiges Verhalten für Aussenstehende
Wenn man einem Blindenführhund mit seinem Menschen begegnet, sollte man folgende Verhaltensregeln beachten, damit der Hund ungestört und zuverlässig seine wichtige Aufgabe erledigen kann.
- Nicht füttern, ansprechen oder sogar streicheln
- Den eigenen Hund anleinen und das Gespann zügig und ohne Kontakt umgehen
- Lassen sie dem Gespann den Vortritt
- Ein Blindenführhund hat überall Zutritt
- Bei Ampeln, welche kein Signalkästchen für sehbeeinträchtige Menschen haben, darf man dem Menschen helfen, indem man ihm mitteilt, wann die Ampel grün ist. Das kann der Hund nicht erkennen.
- Wenn man das Gefühl hat, dass das Blindenführhundgespann in Schwierigkeiten ist, kann man die Person ansprechen und seine Hilfe anbieten.
Ganz klar leisten die Blindenführhunde eine unverzichtbare Arbeit für uns Menschen. Sie ermöglichen sehbeeinträchtigen Menschen eine neue Art von Selbstbestimmung, Freiheit und sozialer Teilhabe. Durch die Hunde können sie wortwörtlich neue Wege gehen und können sich einfacher integrieren. Nicht selten ist der Hund, wie auch bei vielen sehenden Menschen, ein Eisbrecher. Dieser wertvollen Arbeit und allen Beteiligten zollen wir höchsten Respekt.
Was ist das schönste Erlebnis, welches Sie bisher hatten mit Blindenführhunden?
Ronny Ramseier: Da gibt es einiges. Persönlich war für mich meine Reise nach Kanada gemeinsam mit meinem damaligen Blindenführhund ein grosses Highlight.
Was ist das schönste Erlebnis, welches Sie bisher hatten mit Blindenhunden?
Peter Kaufmann: Persönlich fasziniert mich, wie symbiotisch ein gut eingespieltes Team unterwegs ist. Blindenhundearbeit ist eine sehr vertiefte und respektvolle Teamarbeit, bei der zusammen viel mehr erreicht werden kann, als es einem allein möglich wäre. Das heisst auch, die Hunde erleben durch ihre Aufgabe eine Wertschätzung und Befriedigung ihrer Triebe und Interessen, was Familienhunden nicht immer geboten werden kann. Erfolgreiche Blindenführhunde sind Arbeitshunde, die einen grossen Drang zur Teamarbeit haben. Wenn jetzt diese Hunde zusammen mit ihren Haltern erfolgreich zusammenwachsen, berührt mich dies sehr.