10.9.20
Botenstoffe
Das Hundeverhalten ist ein sehr vielseitiges Wechselspiel zwischen Erlerntem, Erfahrung, genetischer Veranlagung, Umweltreizen und körperlicher Voraussetzungen. Daher handelt es ich um ein äusserst komplexes Konstrukt. Unterschätzt wird aber oftmals die Komponente „Botenstoffe“. Welchen Einfluss sie haben und welche die wichtigsten Botenstoffe im (Verhaltens-)Training sind, erläutern wir in diesem Blog-Beitrag.
Hormone
Das Wort „Hormone“ wird oft fälschlicherweise für alle Botenstoffe verwendet. Genau genommen gibt es allerdings kleine aber feine Unterschiede bei den verschiedenen Botenstoffen. „Echte Hormone“ sind Botenstoffe, die im Körper produziert werden (z.B. in der Hypophyse, der Schilddrüse, der Nebennierenrinde, den Geschlechtsorganen). Diese werden über die Blutbahn an die jeweiligen Empfängerorte transportiert. Je nach Endstation können die Hormone unterschiedliche Wirkungen erzielen. Durch den Transport über die Blutbahn, ist die Wirkung langsamer als bei Neurotransmittern, hält aber auch länger an. Die Hormone wirken gemäss dem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Es braucht also passende Rezeptoren, sonst können die Hormone nicht andocken und ihre Wirkung entfalten. Ein bekanntes Hormon ist zum Beispiel das Cortisol. Es gibt allerdings auch Botenstoffe, wie Adrenalin, welche sowohl als Hormone, als auch als Neurotransmitter fungieren können.
Neuromodulatoren
Unter diesem Begriff versteht man Botenstoffe, die die Wirkung von anderen Botenstoffen im Gehirn „modellieren“, sprich dämpfen oder verstärken, z.B. Noradrenalin.
Neurotransmitter
Diese Botenstoffe entfalten im zentralen Nervensystem selber ihre Wirkung durch Anregungsreiz. Sie geben die Informationen von Zelle zu Zelle über Impulse weiter. Ein Beispiel hierfür ist das Serotonin.
Chemische Botenstoffe (Pheromone)
Die Botenstoffe, welche auch unter dem Begriff „Pheromone“ bekannt sind, werden in Duftdrüsen gebildet und dienen dem Informationsaustausch.
Die wichtigsten Botenstoffe
Cortisol ist ein passives Stresshormon, oder auch Kontrollverlust-Hormon genannt. Die Bezeichnungen kommen daher, dass der Hund bei einer zu hohen Cortisol-Konzentration das Gefühl entwickelt, nicht mehr alleine eine Situation überstehen zu können und regelrecht überwältigt wird von der Umwelt. Dies hat zur Folge, dass er sich immer mehr zurückzieht und passiv verhält, bis hin zur Depression. Zudem unterdrückt oder schwächt ein zu hoher Cortisol-Spiegel das Immunsystem und verhindert Gedächtnisbildung. Bei gemässigter Menge hilft das Hormon aber bei der Stressbewältigung und der Cortison-Bildung, wirkt auf das Adrenalin ein und steuert den Stoffwechsel und die Verdauung. Hunde, die vor Aufregung zittern, weisen zum Beispiel auf einen erhöhten Cortisol-Spiegel hin.
Serotonin ist der Gegenspieler des Cortisols. Es ist ein Glücksbotenstoff und macht, dass man sich wohl fühlt.
Endorphine gelten als Rausch-Hormone, welche Glücksgefühle entfachen und das Schmerzempfinden dämpfen. Sie können Lernerfolge verstärken. Dieser Rausch kann allerdings auch suchterzeugende Tätigkeiten unterstützen. Endorphine werden zum Beispiel bei Hunden ausgeschüttet, die bei der Heimkehr der Besitzer an ihnen hochspringen. Durch die Ausschüttung werden andere Wahrnehmungen gedämpft. So nimmt er es kaum wahr, wenn man ihn immer wieder herunter schubst.
Dopamin ist die Belohnungs- und Erfolgsdroge schlechthin. Sie pusht den Organismus und verleiht ihm einen Energieschub. Auch steigert Dopamin die motorische Koordination, Aufmerksamkeit, Motivation und Gedächtnisbildung. Es wird durch Selbstbelohnungs-Verhalten ausgeschüttet. Vorsicht, es besteht Suchtpotenzial! Diese Hormon ist federführend bei Ball-Junkies.
Oxytocin ist auch bekannt als „Bindungshormon“. Es ist enorm wichtig für die Teambildung und die Bindungsarbeit. Ausserdem vermag es Stress zu dämpfen und verhindert die Cortisol-Ausschüttung. Ohne Oxytocin entsteht kein Zusammengehörigkeitsgefühl. Auch das Gefühl, für jemanden verantwortlich zu sein, rührt von diesem Botenstoff her.
Adrenalin bewirkt durch Glucose-Ausschüttung eine schnelle Energiebereitstellung und hilft, schnelle Entscheidungen zu treffen. Es ist auch bekannt als „Fluchthormon“. Adrenalin fährt die Körperaktivitäten hoch (Blutdruck, Herzfrequenz, Atem...) und erhöht den Cortisol-Spiegel.
Noradrenalin ist das „Kampfhormon“ und wird bei Formen von Stress ausgeschüttet, welche eine Selbstverteidigung verlangen. Werden Tätigkeiten verknüpft mit Noradrenalin, werden diese besonders gut abgespeichert. Der Neuromodulator wirkt daher lernverstärkend und es senkt die Reizschwelle für Wiederholungen. So kann das Noradrenalin Schuld daran sein, dass ein Hund mit seinem Verhalten in Rage fällt. Mängel von Noradrenalin führen hingegen zu erlernter Hilflosigkeit. Dies bedeutet, dass der Hund sich abhängig macht z.B. vom Menschen und nichts mehr selber bewältigen kann.
In der Natur kommen alle Botenstoffe vor, und das ist auch gut so. Selbst bei vermeintlich schlechten Eigenschaften, sind sie dennoch notwendig, damit der Organismus im Gleichgewicht bleibt und sich den Gegebenheiten anpassen und überleben kann. Das Zusammenspiel ist sehr komplex und niemals darf ein Botenstoff nur alleine betrachtet werden. Denn alles hängt zusammen. Es kommt auch immer auf die Konzentration an. Zu viel von einem Botenstoff kann genauso schädlich sein wie zu wenig. Jeder Organismus ist anders und reagiert individuell auf Reize. Daher muss auch mit jedem Hund individuell gearbeitet werden – auch in Bezug auf gezielte Botenstoff-Trigger.
Was die Botenstoffe für Auswirkungen auf unsere Junghunde und auf das Training haben, erfahrt ihr in den nächsten Beiträgen.